Die SPD hat einen historischen Tiefpunkt erreicht und das Lamento ist groß, viele bangen um die gute, alte SPD als Volkspartei und stellen fest, dass alles ganz schrecklich ist. Nicht nur die SPD hängt wie der legendäre rote Hugo tot im Seil. Die österreichischen Sozialdemokraten versuchen gerade ihren zweiten Kanzler zu massakrieren und sind bei den Wahlen in Vorarlberg gar nur mehr auf dem dritten Platz gelandet. Die rechtspopulistische FPÖ punktet im klassischen, sozialdemokratischen Arbeitermilieu und gewinnt zum Beispiel in Oberösterreich gleich mehr als 7,5 % dazu, während die SPÖ 13,4% ihrer Stimmen verliert. Die Partie Socaliste (PS) in Frankreich wiederum, ähnelt eher einer Therapiegruppe als einer zukunftsorientierten Partei.
Die Erklärungen der verschiedensten Kommentatoren sind alle ähnlich. Die sozialdemokratischen Parteien verlieren ihre Stammklientel und die Menschen wollen mehr soziale Gerechtigkeit. Die Wahlergebnisse sprechen allerdings nach meiner Meinung eine andere Sprache. In Deutschland hat eine Mehrheit der Wählerinnen und Wähler offensichtlich die rechtskonservative Koalition von CDU/CSU und FDP an der Regierung sehen wollen. Die Hartz IV Frustrierten und Retter des Sozialstaates haben es offensichtlich nicht geschafft eine Mehrheit zu mobilisieren. Deshalb kann das Rezept „Zurück in die Zukunft“ für die SPD kein Lösungsansatz sein. Denn die Wechselmehrheit von 1998 kam auch deshalb zu Stande, weil eben Schröder und Fischer für eine neue Politik standen und man den beiden zugetraut hat, den Reformstau der Kohl-Ära zu bewältigen.
Allerdings ist es gerade Gerhard Schröder und der SPD schlecht bekommen, dass sie ein psychologisches Phänomen der Veränderung völlig ausgeblendet haben. Jede und Jeder sieht ein, dass es Reformen braucht, solange er oder sie nicht selbst davon betroffen ist. Die Menschen reden anders als sie handeln und lassen sich bei Wahlen genauso wie bei vielen Entscheidungen leider nicht von rein rationalen Motiven leiten, sondern das Gefühl und der Bauch entscheiden immer mit. Und da ist auch der Haken an allen Analysen, die in den letzten Wochen und Monaten aufgestellt und diskutiert wurden. Unisono waren sich die so genannten Meinungsmacher einig, dass die SPD mehr soziale Züge zeigen muss, wenn sie weiterhin als Partei bestehen will. Nur kann man mit Vorschlägen aus Utopia nicht mehr als Maximal 15% der Wähler überzeugen, siehe das Ergebnis der „LINKEN“. Die Lösung für die SPD kann es also nicht sein, die bessere LINKE zu werden, sondern sie muss sozialdemokratische Antworten auf einige Fragen der Zukunft geben, die zu schmerzlichen Einschnitten für die Bevölkerung führen werden. Wie soll das Rentensystem finanziert werden? Wie sollen die immer stärker steigenden Kosten im Gesundheitswesen auf die Gemeinschaft verteilt werden? Wie gelingt es uns, dauerhaft Arbeitsplätze außerhalb der klassischen Industrie zu schaffen? Wie ist die Öko-soziale Wende in Deutschland sozial verträglich zu meistern? Wie gelingt ein sozialverträgliches Steuersystem, das der „Normalbürger“ auch noch versteht? Denn eines steht fest, mit dem Konzept „weiter so“ oder einer Politik der Steuer- und Abgabenerhöhung wird keine Wahl zu gewinnen sein und trotzdem muss das wahnsinnige Haushaltsdefizit irgendwie abgebaut werden und im ersten großen Step die Politik auf Pump beendet werden.
Andrea Nahles, Sigmar Gabriel und Frank Walter Steinmeier stehen also vor immensen Herausforderungen, die auch durch eine Gesichtswäsche an der Spitze nicht einfach gelöst sind. Wobei die Erneuerung der SPD eher einer Runderneuerung von Altreifen gleicht; neue Gesichter machen noch lange keine neues Profil. Mit Sigmar Gabriel und Andrea Nahles sucht die SPD eine Möglichkeit, die unterschiedlichen Wählerschichten anzusprechen, nur wird es die innerparteiliche Diskussion über den richtigen Weg nicht verhindern können und die Flügelkämpfe zwischen den Besitzstandswahrern auf der eher linken Seite mit den Pragmatikern um Gabriel nicht zu übertünchen vermögen. „Zwei Seelen wohnen ach in meiner Brust“, nichts beschreibt den inneren Zustand der Sozialdemokratie besser als diese Zeile aus Goethes Faust. Die Erneuerer liefern sich einen Kampf mit den fast religiös anmutenden Sozialstaats-Linken, die Hartz IV zur Erbsünde der Sozialdemokratie hochstilisiert haben. Ich wünsche der neuen Troika gute Nerven und viel Durchhaltevermögen, denn die SPD kann es sich nicht weiter leisten, Parteivorsitzende im Jahresrhythmus zu verschleißen. Im sozialdemokratischen Jargon würde ich jetzt den zukünftigen Lenkern ein herzliches „Glück auf“ wünschen und natürlich werde ich die Kämpfe, um den richtigen Weg auch weiterhin beleuchten.